Es war ein Ritual, das immer wieder gleich ablief, wenn bei einem meiner früheren Arbeitgeber ein Kollege Geburtstag hatte. Man konnte die Uhr danach stellen, kurz vor Feierabend gab es eine regelrechte Wanderung bis in den Flur vor dem entsprechenden Büro und als Betroffener wurde dann dazugerufen, mit der Aufforderung, Grundhaltung einzunehmen. Diese Aufforderung kam vom einer der Führungskräfte des Unternehmens – man merkte die militärische Vergangenheit nicht nur in diesem Moment. Es folgte die offizielle Gratulation, mit nahezu immer dem selben Wortlaut (außer für die Geschäftsführer und manchmal auch für die Sekretärinnen, die in Ihrer Funktion eher keine „dicke fette Beute“ machten), die Überreichung eines Blumenstrauß und dann die unvermeidliche Aufforderung an alle versammelten Kollegen: „Wer hat noch nicht gratuliert?“ Unter den Augen aller, inklusive der Geschäftsführer, wurde dieses Versäumnis umgehend nachgeholt. Und dann kam der Satz, der aus meiner damaligen Perspektive um 5 Minuten vor Feierabend nur bedingt Sinn machte „Dann gehen wir alle wieder arbeiten“. Die Versammlung löste sich auf, jeder ging wieder seiner Dinge nach.

Damals fand ich dieses Ritual etwas peinlich für alle Beteiligten und mit anderen ehemaligen und nach mir ausgeschiedenen Kollegen ist es ein geflügeltes Wort: „Übernimmt er immer noch den Gratulationsdienst?“ – „Ja, ja! Gehen wir wieder arbeiten!“ Was man aber festhalten muss: Jeder Mitarbeitende wurde gleich wahrgenommen, es herrschte eine gewisse Ordnung im persönlichen Miteinander und es wurde optimistisch angenommen, dass nach der Erfüllung der einen Pflicht auch die anderen Pflichten erfüllt werden.

Das fehlt mir gerade.

Nicht in meiner eigenen Unternehmung – der „Gratualationsdienst“ läuft hier etwas anders. Nein, ich sehe das gerade gesamtwirtschaftlich. Weil ich nämlich den Eindruck habe, dass ein großer Teil der Wirtschaft gerade immer noch um die Politik herumsteht und darauf wartet, ob es vielleicht noch Kuchen gibt (Achtung Spoiler: Gibt es nicht!). Ich glaube nicht, dass es uns jetzt hilft, über die letzte Wahl zu jammern. Die von mir gewählte Partei ist nicht an die Macht gekommen, das ist für mich aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Ja, das Ergebnis ist nicht optimal, denkwürdig und viele Gewohnheiten werden dadurch auf den Kopf gestellt. Ja, im Bundestag werden jetzt 24,1% der Sitze von einer mutmaßlich rechtsextremen Partei besetzt, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird – allen Feigenblättern zum Trotz. Aber wir, die wir in der Wirtschaft arbeiten und das Geld verdienen, das der Bundestag dann wieder verteilen will, müssen unsere Arbeit trotzdem tun. Egal, welche Kompromisse die nächste Koalition verhandelt und wo die Schwerpunkte liegen. Ein Bundeskanzler allein (egal von welcher Partei) ist auch kein Garant für Wirtschaftswachstum. In der aktuellen Lage haben wir keine Zeit, uns lange aufzuhalten. Natürlich schafft die Politik die Rahmenbedingungen, aber wenn wir das nicht mit unserer eigenen Arbeit und Innovationskraft unterstützen, sind auch die Rahmenbedingungen egal. Das Wirtschaftswachstum generieren wir!

Also: Die Blumensträuße sind übergeben, die Gratulationen sind durch. Lasst uns doch bitte endlich alle wieder arbeiten gehen!